„Das ist nicht das, was die von Armut betroffenen Menschen brauchen“

Rede zur Neuausrichtung des Sozialtickets in der Stavo am 28.09.2023

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

der nahe liegende Vorschlag, das 49-Euro-Ticket als Basis für unser kommunales Sozialticket zu nutzen, war schon in der Februar-Sitzung durch einen Antrag von UFFBASSE in die Diskussion gebracht worden.

UFFBASSE hatte vorgeschlagen, das 49-Euro-Ticket zu 50 Prozent zu fördern und somit ein bundesweit gültiges Darmstädter Sozialticket für 24,50 Euro anzubieten. Das fanden wir angemessen und haben zugestimmt.

Die Koalition wollte damals dem Antrag nicht folgen, sondern noch abwarten, zu welchen Konditionen das hessenweite Sozialticket angeboten wird, bevor wir unser lokales Ticket überarbeiten. Das war eine nachvollziehbare Entscheidung der Magistratsmehrheit, die ja auch zügig umgesetzt wurde.

Wir sind nun sehr enttäuscht, dass die Koalition mit dieser Vorlage so weit hinter dem ursprünglichen Vorschlag von UFFBASSE zurück bleibt.

Eigentlich hat es uns das Land mit seiner Förderung ja leichter gemacht, nicht nur den Gültigkeitsbereich zu erweitern, sondern das Ticket auch erheblich günstiger anzubieten als bisher. Dazu bräuchten wir nicht einmal die Hälfte zuzuschießen – schon mit 30 Prozent wäre eine echte Verbesserung zu erreichen.

Doch leider soll sich die Stadt nach dem Willen der Koalition bei den Erwachsenen ganz aus der Förderung herausziehen und sich bei diesen komplett auf der Landesförderung ausruhen.

Lediglich für Kinder und Jugendliche soll Preis des Hessenpasses mit kommunalen Mitteln halbiert werden. Wobei diese zum Teil ohnehin ein kostenloses Schülerticket haben
und deshalb gar kein Sozialticket benötigen.

Das bedeutet für Erwachsene, dass sie zwar eine deutlich bessere Leistung erhalten, aber finanziell nur geringfügig oder gar nicht entlastet werden.

Ich will kurz skizzieren, wie sich die geplante Neuausrichtung finanziell für die Nutzerinnen und Nutzer darstellt:

Wer bisher mit einem Sozialticket der Preisstufen 2 oder 3 gefahren ist, kommt um 3 bzw. 7 Euro günstiger davon. Wer sich zuvor auf die Stufe 1 oder die Stadtpreisstufe beschränkt hatte zahlt allerdings 10 Euro mehr. Beim Hessenpass mobil fällt jedoch die Mitnahmemöglichkeit weg,
und außerdem müssen die Nutzerinnen ein Abo abschließen, was für Haushalte mit geringem Einkommen eine Hürde darstellen kann. Durch diese Nachteile kann der genannte, geringe Kostenvorteil je nach den Mobilitäts-Gewohnheiten sogar ganz aufgehoben werden.

Also: Man kann mit dem neuen Sozialticket zwar theoretisch öfters mal einen Ausflug in den Odenwald machen, oder sogar die Verwandtschaft in Buxtehude besuchen, aber das Geld ist am Ende des Monats
immer noch so knapp wie vorher. Oder sogar noch knapper, wenn man im Odenwald den Kindern ein Eis gekauft hat oder ein Eintrittsgeld bezahlt werden musste. Oder wenn in Buxtehude zusätzliche Ausgaben entstehen, für die die Verwandtschaft nicht aufkommen kann oder soll.

Als Grund für den Verzicht auf eine kommunale Förderung nennt der Magistrat, dass der Regelsatzanteil für Verkehr ausreicht, um den „Hessenpass mobil“ zu erwerben.

Ich finde, da wird die separate Betrachtung einzelner Anteile zu weit getrieben. Denn der Regelsatz insgesamt genügt keineswegs, um „Teilhabegerechtigkeit“ zu gewährleisten. So sind beispielsweise die Regelsatzanteile für Bildung (1,81 Euro) und Gaststättendienstleistungen (13,11 Euro) offensichtlich deutlich zu gering. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat berechnet, dass ein armutsfester Regelsatz etwa 250 Euro höher liegen müsste als es zur Zeit der Fall ist.

Es gibt also gute Gründe, sich nicht mit der Ermäßigung durch das Land zufrieden zu geben und stattdessen durch eine zusätzliche kommunale Förderung die Teilhabe weiter zu verbessern und die Armut zu lindern.

Andere Städte haben diesen Bedarf erkannt: Der Stadtstaat Hamburg und die Stadt Nürnberg bieten ermäßigte Deutschlandtickets zum Preis von 19 Euro an. Nürnberg schafft das sogar ganz ohne die Unterstützung durch eine Landes-Ermäßigung, die in Bayern (noch) nicht existiert.

In unserem Änderungsantrag schlagen wir vor, uns durch einen Zuschuss von 12 Euro für Erwachsene dem guten Beispiel dieser Städte anzuschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit großer Mehrheit ein Budget von 400.000 Euro für die Schaffung von mehr „Teilhabegerechtigkeit“ durch ein kommunal gefördertes Sozialticket beschlossen.

Aus diesem Budget konnte bisher der Bedarf aller Altersgruppen mit einem Betrag von durchschnittlich ca. 35 €/Monat befriedigt werden. Künftig soll nur noch einem kleinen Teil der bisherigen Zielgruppe eine Unterstützung von 15,50 Euro angeboten werden.

Unter diesen Bedingungen ist zu erwarten, dass das beschlossene Budget nicht ausgeschöpft wird.

Das heißt, wir würden die Landesförderung nutzen, um im Darmstädter Haushalt die Ausgaben zu reduzieren. Das ist für uns nicht in Ordnung.

Die bereit stehenden Mittel müssen für die Unterstützung auch von Erwachsenen zur Verfügung gestellt werden!

Wenn das nicht geschieht, dann ist das neue Sozialticket kein Schritt nach vorne, sondern bestenfalls ein Schritt zur Seite.

Das ist nicht das, was die von Armut betroffenen Menschen brauchen.

Deshalb werden wir die Magistratsvorlage ablehnen, wenn sie nicht im Sinne unseres Vorschlags ergänzt wird.

Vielen Dank!

Magistratsvorlage