„Die Schuldenbremse ist in Wahrheit eine Zukunftsbremse“

Rede in der Haushaltsdebatte in der Stavo am 21.03.2024

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

nun bekommen nicht nur wir in Darmstadt, sondern auch viele andere Kommunen in ihren Haushalten die Folgen der vielfältigen Krisen auf der Welt und der stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zu spüren.

Seit 2023 weist unser Haushalt ein Defizit von ca. 30 Mio Euro auf. Das funktioniert bekanntlich nur wegen der riesigen Rücklagen aus dem ersten Corona-Jahr, die bisher zum Ausgleich herangezogen werden können.

Diese Entwicklung teilen wir mit anderen hessischen Großstädten. Dort wachsen die Gewerbesteuereinnahmen zwar noch, aber dieses Wachstum reicht nicht aus, um die außerordentlichen Kostensteigerungen durch die Inflation auszugleichen. Die realen Steuereinnahmen (also unter Berücksichtigung der Inflation) sind demnach in den meisten Städten eher gesunken als angestiegen. Das wäre wohl auch in unserem zurückgezogenen Haushaltsentwurf vom vergangenen Oktober der Fall gewesen.

In Darmstadt kommt allerdings noch ein spezielles Problem hinzu, nämlich der Ausfall von eingeplanter bzw. bereits eingezogener Gewerbesteuer im enormen Umfang von etwa 100 Mio Euro.

Wir wissen nicht, welche Unternehmen für die Ausfälle verantwortlich sind, wir kennen nicht die Gründe für die plötzlichen Veränderungen aber wir müssen hoffen, dass sie nicht von Dauer sind. Dass wegen dieses mutmaßlich vorübergehenden Steuereinbruchs nun die Gemeindesteuern deutlich angehoben werden mussten, und dass kurzfristig ein erhebliches Konsolidierungsprogramm notwendig war, liegt an der fehlgeleiteten haushaltspolitischen Ideologie in Deutschland.

Alle wissen, dass die Gewerbesteuer den Kommunen stark schwankende und schlecht planbare Einnahmen bringt. Trotzdem schafft es der Gesetzgeber nicht, eine Reform in die Wege zu leiten. Und trotzdem wird den Kommunen eine Schuldenbremse auferlegt, die uns der Möglichkeit beraubt, krasse Schwankungen durch Kreditaufnahme auszugleichen und zu glätten.

Und es sind nicht irgendwelche ganz anderen Leute, die das entschieden haben, sondern das sind auch Ihre Parteikolleginnen, Ihre Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die ja teilweise selber in den Kommunalparlamenten sitzen. Und es waren Ihre Parteien, die der Bevölkerung die Schuldenbremse aufgeschwätzt haben.

Das Beispiel unseres Haushalts bestätigt, dass die Schuldenbremse in Wahrheit eine Zukunftsbremse ist, die der dringend notwendigen Verkehrswende den Wind aus den Segeln nimmt.

Die Schuldenbremse gehört endlich abgeschafft!

Der Kämmerer stellt in Aussicht, dass die Finanzierung unseres Gemeinwesens unabhängig vom aktuellen Gewerbesteuerausfall in den kommenden Jahren schwierig bleiben wird: die Rücklagen sind aufgebraucht, genauso wie die Einmaleffekte, die diesmal eine Konsolidierung ohne Kahlschlag überhaupt erst möglich gemacht haben. Ein wirtschaftlicher Aufschwung ist nicht in Sicht. Und im Bundeshaushalt wird es noch enger werden, unter anderem wegen der Waffenlieferungen und der massiven Aufrüstung, die nicht nur die Kriegsgefahr weiter erhöhen, sondern Ressourcen binden,
die für die Gegenfinanzierung kommunaler Aufgaben dringend benötigt würden.

Und zusätzlich macht Lindner mit dem sogenannten Wachstumschancengesetz Wirtschaftspolitik auf Kosten der Kommunen, und Lauterbach schafft es nicht, eine auskömmliche Finanzierung für die Krankenhäuser sicherzustellen.

Natürlich löst die Abschaffung der Schuldenbremse nicht das Grundproblem der Kommunen, nämlich dass sie strukturell nicht ausreichend finanziert sind. Das ist in den vergangenen Jahren nicht so aufgefallen, denn wenn die Wirtschaft gut läuft, dann kommen wir einigermaßen hin, allerdings ohne relevante Rücklagen aufbauen zu können. Wenn die wirtschaftliche Entwicklung aber stagniert, rutscht der Haushalt sofort ins Defizit und freiwillige Leistungen und Zukunftsinvestitionen müssen abgeplant werden.

Außerdem entsteht ein Druck auf die Gemeindesteuern, was die Mehrheit in diesem Haus gegen den Widerstand der Linken durch eine unsoziale Anhebung der Grundsteuer umgesetzt hat.

Darmstadt und viele andere Kommunen müssten eigentlich viel mehr tun für die Bildung, die ökologische Transformation und den sozialen Ausgleich. Stattdessen ist nun auch das bisher Erreichte in Gefahr.

Deshalb fordern wir von den übergeordneten staatlichen Ebenen, für die uns auferlegten Aufgaben die benötigten Mittel bereitzustellen, und die Grundfinanzierung der Kommunen insgesamt zu verbessern.

Das Geld dafür muss aus einer stärkeren Besteuerung großer Vermögen und hoher Einkommen generiert werden, anstatt den ohnehin schon belasteten Bürgerinnen durch eine 60-prozentige Erhöhung der Grundsteuer zusätzlich in die Tasche zu greifen!

Ich habe einen Großteil meiner Redezeit auf die Rahmenbedingungen verwendet, unter denen dieser Haushalt entstanden ist. Denn diese sind der Hauptgrund dafür, dass er den sozialen und ökologischen Herausforderungen nicht gerecht werden kann.

Die Schwerpunktsetzungen der Konsolidierung sind für uns durchaus nachvollziehbar und akzeptabel, auch wenn einige der Kürzungen schmerzhaft sind. Wichtig ist allerdings, dass die verschobenen Maßnahmen – insbesondere die Einführung des Nahverkehrskonzepts – im nächsten Jahr umgesetzt und nicht vollends aufgehoben werden.

Der Heinerliner steht zur Disposition, obwohl er sehr gut angenommen wurde und ein feste Größe im Darmstädter Nahverkehr geworden ist. Es muss möglich gemacht werden, dass er – vielleicht in veränderter Form – erhalten bleibt, allein schon um die Reduzierung des Straßenbahnverkehrs zu Randzeiten zu kompensieren.

Wir haben nicht darauf verzichtet, in der zweiten Lesung Änderungsanträge zu stellen, wenn auch mit Zurückhaltung beim finanziellen Umfang.

Damit wollten wir Merkposten für künftige Haushalte setzen, beispielsweise bezüglich der Förderung eines Jobtickets für die Beschäftigten der freien Träger in der Kinderbetreuung.

Verhindern wollten wir die Abplanung des Bürgerbudgets und des Heinerblock-Modellversuchs, denn die Streichung dieser geringen Beträge scheint uns nicht durch haushalterische Zwänge motiviert.

Mehr als ein Merkposten ist allerdings unsere dringende Forderung, die seit Jahren stagnierende Förderung der Freien Kulturinitiativen endlich an die Preissteigerungen anzupassen. 75.000 Euro wollten wir hierfür bereitstellen. Ich glaube, das hätte der Haushalt auch im Sparmodus verkraftet.

Unseren Antrag zum Einstieg in die kommunale Gewerbesteuermitwirkung hatten wir im HFA zurückgestellt. Wir bringen ihn heute in leicht veränderter Form ein. Diese personelle Verstärkung der Kämmerei um zwei Stellen soll sich kurzfristig selbst finanzieren und mittelfristig natürlich zusätzliche Einnahmen generieren. Unsere Nachbarstadt Wiesbaden macht damit gute Erfahrungen. Dort ist es übrigens gelungen, die geschaffenen Stellen zu besetzen.

Schließlich möchte ich noch den Vorstoß des Kämmerers kommentieren, dass die Stadt ein neues Gewerbegebiet brauche, um ihre Einnahmenbasis langfristig zu sichern.

Dieser Denkweise widerspricht Die Linke.

Wir haben natürlich nichts gegen neues Gewerbe, aber wir wollen, dass es auf vorhandenen Flächen entwickelt wird. Dabei geht es nicht nur um die Vermeidung von Versiegelung und Naturzerstörung. Eine Erweiterung erzeugt auch Investitionsbedarf, und zwar sowohl für die neuen Gewerbeflächen selbst als auch für die weitere Infrastruktur, die durch Zuzug und Pendelverkehr erforderlich werden.

Wir bezweifeln, dass am Ende viel übrig bleibt an echten Mehreinnahmen, die den finanziellen Spielraum der Stadt langfristig erhöhen würden.

Darmstadt wächst seit 15 Jahren durchschnittlich um ein Prozent und die vorgesehenen Wohnbebauungen werden noch weiteres Wachstum bewirken. Dadurch ergibt sich für Einpendler die Möglichkeit, auch in ihrem Arbeitsort zu wohnen, was zu weniger Verkehr führt, aber zu einem Mehr an Grundsteuer, Schlüsselzuweisungen und Einkommensteuer-Anteilen.

Lieber Herr Schellenberg, damit kann man doch auch mal zufrieden sein!

Wenn zwei Jahrzehnte intensiven und qualitätsvollen Wachstums tatsächlich nicht ausreichen, um unsere Stadt finanziell stabil aufzustellen, dann stimmt doch etwas nicht mit dem ganzen System (ob ich damit den Kapitalismus meine oder die Kommunalfinanzierung können Sie sich aussuchen).

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!