Rede zur Abstimmung über das Entwicklungs-Konzept für die Darmstädter Innenstadt in der Stavo am 15.6.2023
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
unter der Vielzahl von Konzepten und Strategien, die uns in den Gremien vorgelegt werden, gehört dieses eindeutig zu den besseren. Es ist angenehm zu lesen, und führt übersichtlich strukturiert von den bestehenden Problemen zu möglichen Lösungen. Das Konzept benennt die wesentlichen Probleme unserer Innenstadt und es stellt die richtigen Fragen.
Eher misslungen finde ich die naiv-optimistischen fiktiven Schilderungen der Zukunftsprojekte am Ende des Dokuments. Es wäre besser gewesen die Vorschläge seriös zu skizzieren und dabei wenn möglich auch inspirierende Vorbilder aus anderen Städten anzusprechen.
Insgesamt scheint uns das vorliegende Konzept aber gut geeignet als Grundlage für die gemeinsame Entwicklung konkreter Ideen und für die planerischen sowie finanziellen Entscheidungen, die wir später zu treffen haben.
Deshalb werden wir ihm zustimmen.
Eine entscheidende Festlegung, die wir voll und ganz unterstützen, ist das Bekenntnis zu einer aktiven Steuerung durch die Stadt. Denn es würde nicht ausreichen, wenn wir – die Gremien und die Stadtgesellschaft – unsere Ideen entwickeln und diese dann nur an die verschiedenen Innenstadt-Akteure herantragen können.
Die Kommune muss selber über die Liegenschaften verfügen, in denen die „hybriden Räume“ entstehen sollen. Denn sie braucht nicht nur den Wunsch, sondern auch die Macht, ihre strategischen Planungen gegen andere Interessen durchzusetzen, und das geht nun mal am besten, wenn man selbst Eigentümerin ist. Wir müssen in der Lage sein, unabhängig von Marktpreisen und kurzfristigen Profitansprüchen Flächen für Zwecke bereit zu stellen, die normalerweise in einer Innenstadt nicht finanzierbar wären.
Ich will ein Beispiel nennen. Genossenschaftliche Wohnprojekte sollen die Möglichkeit bekommen, sich in der Innenstadt anzusiedeln. Ein guter Vorschlag! Aber es ist völlig klar, dass das zu Marktpreisen nicht finanzierbar ist. Das hat ja nicht mal draußen im Ludwigshöhviertel geklappt, wo die Ansiedlung solcher Projekte an den Bodenpreisen gescheitert ist.
Um Wohnprojekte in der Innenstadt zu ermöglichen müsste vielleicht der Bauverein als Bauträger auftreten, und die Genossenschaft käme dann als Generalmieterin hinein. Kostendeckend wäre das wahrscheinlich nicht (oder nur sehr langfristig). Das gewünschte stadtraumbelebende und bürgerschaftliche Engagement der Wohngruppen müsste sozusagen mit öffentlichen Mitteln erkauft werden.
Das Gleiche gilt auch für die „Third Places“, für die Ansiedlung von Freizeit, Kultur und Vereinen, für Vorhaben von Bildung und Teilhabe, falls sich all dies nicht nur an zahlungskräftiges Publikum richten soll.
Uns muss also klar sein: die Rückkehr der öffentlichen und nichtkommerziellen Funktionen wird viel Geld kosten. Ich denke, wir reden über Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe,
die sich nur langsam und indirekt amortisieren, wenn überhaupt.
Und das meine ich ohne den Aufwand für die vorgeschlagene Umsiedlung der Stadtverwaltung in die Innenstadt, die mittel- bis längerfristig durchaus zu begrüßen wäre.
Ich komme zu meinem zweiten Aspekt: Wenn die Innenstadt mit ihren neuen Funktionen wirklich zu einem „Treffpunkt für alle“ werden soll, dann brauchen wir dort attraktive nicht-kommerzielle Räume. Orte, die für die kostenlose Nutzung vorgesehen sind, oder sich zumindest für ein geringes Budget eignen.
Das beginnt schon bei der Stadtmöblierung: In der Grafenstraße, also bei der letzten Umgestaltung in der Innenstadt, ist das leider nicht berücksichtigt worden. Es gibt dort keine einzige öffentliche Bank, wer sich hinsetzen will muss in einer Gastronomie einkehren. So sollte es nicht gemacht werden, wenn eines Tages die Wilhelminen- und Luisenstraße neu gestaltet werden.
Und es muss auch in den „Zukunftsprojekten“ einfache und kostengünstige gastronomische Angebote geben, zum Beispiel auf den Dachflächen oder im Darmstadthaus, damit auch denen das Verweilen oder Dabeisein möglich ist die sich eine Latte Macchiato im Liegestuhl nicht so einfach leisten können (wie es bei der Skizze des Pop-Up-Playgrounds zu lesen ist).
In diesem Sinne wäre es auch anzustreben, Projekte der Sharing Ökonomie in die Innenstadt zu holen, also Verleihgeschäfte, Gebrauchtkleiderläden oder ähnliches. Das gehört auch in unsere Mitte, wenn dort für vielfältige Lebensrealitäten Angebote vorhanden sein sollen.
Drittens noch ein paar Worte zur violetten Säule, dem „Wohnen“.
Ich hätte Bedenken, die Wohnnutzung mehr als nur punktuell in das Umstrukturierungsprogramm aufzunehmen. Die Erfahrungen bezüglich der Lärmschutz-Regelungen zeigen, dass das Wohnen in der Innenstadt in einen Dauerkonflikt mit den neuen kulturellen Nutzungen und dem Ziel der spätabendlichen Belebung geraten würde.
Der Kiez-Charakter hängt nicht unbedingt direkten Bewohnerinnen und Bewohnern ab. Er könnte sich auch herausbilden indem Bewohnerinnen der Mollerstadt oder – wenn „Heiner Crossing“ funktioniert –, der östlich angrenzenden Wohnvierte sich die Innenstadt aneignen.
Bei der Entwicklung der Mollerstadt muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die aktuellen Milieus nicht daraus verdrängt werden. Dort gibt es viele kleine und einfache Wohnungen, die trotz der Innenstadtlage noch halbwegs günstig sind. Die Aufwertung des Wohnumfelds in der Mollerstadt und ein Wohnungsneubau, der sich an zahlungskräftigere Klientel richtet, kann das schnell verändern.
Es ist zu beobachten, dass sich in den letzten Jahren von der Hügelstraße ausgehend hochpreisige Wohnanlagen wie z.B. die „Kleinschen Höfe“ (da haben früher Studierenden-WGs gewohnt!) ins Viertel ausbreiten.
So darf die Umgestaltung der Mollerstadt nicht ablaufen! Bestehende Wohngebäude müssen dort erhalten bleiben und bei Neubauten muss die Sozialwohnungs-Quote durchgesetzt werden.
Ich freue mich auf weitere Debatten, wenn (hoffentlich in absehbarer Zeit) erste Zukunftsprojekte zur Umsetzung kommen, oder andere Entwicklungsschritte anstehen.