Videoüberwachung: Dieses Projekt ist nur der Anfang!

Rede bei Demo ‚Freiheit statt Angst‘ am 8.2.2020


Liebe Mitstreiterinnen & Mitstreiter,

ich möchte beginnen mit einem Zitat aus dem aktuellem Programm der Bundes-Grünen, im Abschnitt Abkehr von Massenüberwachung:

Flächendeckende Videoüberwachung trifft unterschiedslos alle Bürger*innen. Ohne konkrete Gefahr oder Verdacht wird flächendeckend beobachtet. Das bringt für echte Sicherheit nichts und ist mit einer freiheitlichen Demokratie nicht vereinbar. Die historische Erfahrung lehrt, dass Freiheit in kleinen Schritten stirbt.“

Ein solcher kleiner Schritt soll leider in einer Woche beschlossen werden. Wie es aussieht steht dafür eine eine Mehrheit von CDU, Grünen, FDP und AfD bereit.

1. Überwachung gegen Ängste statt gegen reale Gefahren

Laut Kriminalstatistik

  • leben wir in der mit Abstand sichersten kreisfreien Stadt Hessens.
  • ist die Straßenkriminalität auf dem Lui von 2017 auf 2018 um 10% zurückgegangen. Dies steht offensichtlich im Zusammenhang mit der Eröffnung der Stadtwache der Kommunalpolizei im Frühjahr 2018.
  • gibt es keine krisenhafte Situation auf dem Luisenplatz, die einen gravierenden Eingriff in die Freiheitsrechte eventuell notwendig machen könnte.

Polizeipräsident Bernhard Lammel sagte im vergangenen Jahr: „Die gefühlte Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger steht leider oft in keinem Verhältnis zu den objektiven Zahlen. Immer wieder ist von Angst-Räumen zu hören.“

Das Hantieren mit der Kriminalstatistik bei der Begründung der Überwachungsmaßnahme durch den Magistrat ist offenbar vorgeschoben. Es geht um die Verbesserung des Sicherheitsgefühls, die aber kein juristisch akzeptabler Zweck ist. Deshalb wurde der Luisenplatz zum Kriminalitätsschwerpunkt erklärt.

Das ist ein falscher Umgang mit Ängsten, die sicherlich vorhanden sind, auch deshalb, weil sie immer wieder geschürt. Man sollte mit rationalen Argumenten auf diese Ängste eingehen, anstatt ihnen Recht zu geben durch die Installation von Kameras.

Wenn man sich auf die Logik der gefühlten Sicherheit einlässt, ist die Ausweitung der Maßnahme vorprogrammiert. Wer sich nur unter Kameras sicher fühlt, wird bald die Überwachung weiterer Straßen und Plätze fordern. Es ist doch völlig klar: dieses Projekt ist nur der Anfang!

Das sieht man übrigens auch an der Aktion der Polizei, an der Drogeneinrichtung Scentral, wo wir vorhin die Zwischenkundgebung hatten, eine mobile Anlage zu installieren – noch bevor die umstrittene Anlage auf dem Luisenplatz in Betrieb ist.

2. Kriminalstatistik

Ich will genauer auf die Kriminalstatistik eingehen, die in der Magistratsvorlage vom letzten Jahr aufgeführt wurde. Sie listet im Wesentlichen die folgenden Delikte auf:

  • Betäubungsmittel
  • Körperverletzung und Bedrohung
  • Diebstahl und Raub
  • Sachbeschädigung

Diese können rechtlich nicht alle als Kriterium für die Zulässigkeit der Überwachungsmaßnahme herangezogen werden: sie muss Straftaten wirklich verhindern, mit einer Verdrängung vom überwachten Ort ist sie nicht begründbar.

Damit sind Drogendelikte ausgeschlossen, denn diese verdrängt Straftaten nur, das wird auch in der Magistratsvorlage festgestellt.

Es gibt viele Fälle von Körperverletzung. Das ist ein gravierendes Delikt, mich hat selbst überrascht das dies recht häufig passiert. Aber eine Schlägerei oder gewaltsame Bedrohung ist meist nicht geplant, sie entsteht im Affekt, aus einer spontanen Situation. Auf dem Luisenplatz findet so eine Tat zumindest tagsüber vor Zeugen statt, und sie ereignet sich wohl auch fast immer zwischen Menschen, die sich kennen. Hier kann ich keine präventive Wirkung von Videoüberwachung erkennen, auch wenn das die Vorlage anders sieht.

Was bleibt übrig?

  • Alle 10 Tage ein Diebstahl,
    der unter Kameras vielleicht unterbleibt, möglicherweise aber stattdessen an einem anderen Ort stattfindet.
  • Eine Sachbeschädigung pro Quartal,
    die vielleicht unterbleibt, möglicherweise aber von einem unerkanntem Täter trotzdem durchgeführt wird.

Wem das reicht, um Videoüberwachung zu befürworten, für den muss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen sehr niedrigen Rang einnehmen!

3. Alternativen

Wir alle wollen natürlich auch, dass Straftaten verhindert und Ängste genommen werden.

Kurzfristig führt uns das zu der Forderung, Menschen statt Apparate zum Schutz gegen Straftaten und zur Beseitigung von Ängsten einzusetzen.

Wir müssen also bereit sein, einen Preis zu zahlen – allerdings in Form von Gehältern anstatt von Grundrechten! Dabei möchte ich betonen, dass es mir hier um die Präsenz der Kommunalpolizei geht, und nicht der Landespolizei.

Auch die Aufmerksamkeit der Mitmenschen, also der anderen Passantinnen und Passanten, ist wichtig: wie schon von vielen Vorrednern gesagt wurde, können diese sofort helfend eingreifen und andererseits Vorfälle mit ihrem Smartphone dokumentieren.

In diesem Zusammenhang können Videokameras auch kontraproduktiv wirken: die unmittelbare persönliche Verantwortung wird schwächer wahrgenommen und an die anonymen Beobachter hinter den Kameras abgegeben.

Längerfristig wollen wir Armut, Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit von Menschen verringern. In einer solidarischeren Gesellschaft wird es auch weniger Straftaten geben.

Aus all diesen Gründen sind wir gegen die Videoüberwachung auf dem Luisenplatz!

Kommt am nächsten Donnerstag zur Demonstration vor dem Justus-Liebig-Haus, in dem die Stadtverordnetenversammlung stattfinden wird, und schaut euch die Sitzung von der Besuchertribüne aus an!