Soziales und Klimaschutz kommen zu kurz

Rede zur Kritik des Darmstädter Haushalts 2020 bei der StaVo am 3.12.2019

Der Haushalt umfasst in diesem Jahr die Rekordsumme von 730 Mio Euro. Hintergrund sind die guten Steuereinnahmen und sehr hohe Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich. Dadurch konnte die Koalition einige unserer langjährigen Forderungen endlich umsetzen: der soziale Wohnungsbau wird deutlich stärker gefördert und die Stadt verzichtet wenigstens auf einen Teil der Ausschüttungen der Bauverein AG.

Trotz der Rekordeinnahmen wurden andere soziale Forderungen an den Haushalt nicht aufgegriffen. Das Sozialticket bleibt halbherzig: der von uns beantragte Halbpreis-Zuschuss wurde abgelehnt. Und auch für die Höhergruppierung von Erzieherinnen und Erziehern sowie Beschäftigten in Sozialdiensten gab es keine Mehrheit. Außerdem appellierten wir an den Kämmerer, dass er im kommenden Jahr keine 20-prozentige Haushaltssperre für Sportvereine, Kulturinitiativen und soziale Projekte verhängt. Diese freiwilligen Leistungen sind sehr wichtig, denn sie stärken den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft. Sie müssen wenigstens in einem guten Haushaltsjahr komplett ausgezahlt werden. Der Kämmerer entscheidet darüber im kommenden Frühjahr.

Im August hatte die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, dem Klimaschutz höchste Priorität einzuräumen. Bis 2035 soll Darmstadt Klimaneutralität erreichen. Wenn das ernst gemeint ist, dann muss in den folgenden Jahren richtig Geld in die Hand genommen werden. Wir schlagen vor, analog zum 4 mal 4-Programm für den Radverkehr mindestens ein 10 mal 10-Programm für den Klimaschutz zu starten: 10 Jahre lang 10 Mio Euro extra in den Haushalt einzustellen und dazu noch 10 neue „Klima-Stellen“ zu schaffen. Wenn die Koalition künftig nicht mehr tut als in diesem Haushalt, dann wird sich an Darmstadts schlechter Klimabilanz nicht viel ändern.


Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch diesmal spielt die gute Wirtschaftslage und der damit verbundene hohe Steuerertrag dem Kämmerer und der Koalition in die Karten.

Dies, und der Nachschlag für die kreisfreien Städte in Form einer außerordentlich hohen Schlüsselzuweisung ergibt einen außerordentlichen Spielraum. Dadurch wurde es erfreulicherweise möglich, dass

  • endlich wenigstens auf einen Teil der Ausschüttungen der Bauverein AG verzichtet werden kann,
  • der Wohnungsbau stärker gefördert werden kann als bisher, und auch
  • die Stadt ihre fragwürdige Pflicht, nämlich das Ansparen der Liquiditätsreserve, gleich im ersten Jahr erfüllt.

Diese gute Lage ermöglichte es der Kooperation, in der zweiten Lesung nach dem Motto „Klappern gehört zum Geschäft“, ein kleines Füllhorn über den Sportvereinen, Kulturinitiativen und sozialen Einrichtungen auszuschütten. De Erhöhung der freiwilllgen Leistungen ist schon lange überfällig, deshalb haben wir den meisten Anträgen zugestimmt.

Aber die Empfänger dieser freiwilligen Leistungen brauchen nicht nur ausreichende Mittel, wenn es der Stadt gut geht, sie brauchen auch Kontinuität. Das Engagement in Sport, Kultur und bei sozialen Projekten ist entscheidend für den Zusammenhalt unserer Stadtgesellschaft. Und daran dürfen wir, gerade in diesen Zeiten, nicht sparen!

Deshalb appellieren wir an den Kämmerer, im kommenden Jahr keine Haushaltssperre zu verhängen. Es ärgert uns, dass die Vereine und Initiativen Jahr für Jahr als Puffer herhalten müssen, um einen punktgenauen Haushaltsausgleich zu ermöglichen. Aus unserer Sicht ist das ohnehin unnötig. Nun haben wir aber auch noch eine aufgefüllte Liquiditätsreserve, die notfalls als Puffer dienen kann und soll. Deshalb fordern wir: keine Haushaltssperre in 2020!

In einem Jahr mit überdurchschnittlich guten Einnahmen gibt es natürlich weniger Gründe für scharfe Kritik. Wir hätten uns allerdings gewünscht:

  • …dass das Sozialticket im Nahverkehr großzügiger ausgestattet wird, um eine Halbpreisermäßigung zu realisieren anstelle der halbherzigen Ermäßigung des existierenden Sozialtickets. Es gibt immer mehr stark vergünstigte Tarife für Schüler oder Seniorinnen und vorteilhafte Jobtickets wie das Hessenticket, aber bei den Menschen mit geringem Einkommen wird hier jeder Cent herumgedreht.
  • …dass die Erzieher*innen und Beschäftigten in den Sozialdiensten endlich höher gruppiert werden, so wie es verdient haben und wie es in anderen Kommunen in unserer Umgebung bereits geschieht.
  • … dass die Initiative ergriffen wird für eine dritte Stufe im geförderten Wohnungsbau, um Haushalten mit durchschnittlichen Tarifeinkommen erschwingliche Mieten in Neubau-Wohnungen zu ermöglichen.

Bei den beiden ersten Punkten beißen wir leider auf Granit. Beim dritten Förderweg gab es immerhin eine angeregte Diskussion bei der zweiten Lesung. Wir hoffen dass sich hier künftig etwas bewegt.

Das normale Programm kann – Stand heute – im kommenden Jahr problemlos und sogar mit einigen Draufgaben erfüllt werden. Das haben wir als prosperierende Stadt anderen Kommunen voraus.

Aber das normale Programm reicht nicht aus! Das gilt eigentlich schon für das kommende Jahr, und jedenfalls trifft es auf die mittelfristige Planung zu.

1.
Wir haben einen enormen Sanierungsstau in vielen Bereichen der Infrastruktur. Am Drängendsten betrifft das den Zustand der Schulen. Beim Kultusminister gehen zahlreiche Überlastungsanzeigen ein, die sich ausdrücklich auf den Zustand der Schulbauten beziehen und somit eigentlich beim Schuldezernent landen müssten.

Notwendig ist nach Abschluss des Großprojekts „Berufsschulzentrum Nord“ ein permanenter Kraftakt bei der Schulsanierung. Um den Nachholbedarf aufzuholen wird das Niveau der Erhaltungsinvestitionen insgesamt sehr hoch bleiben müssen.

2.
Die Klimakrise verlangt einen umfassenden Umbau der städtischen Infrastruktur. Wenn die Klimaneutralität bis 2035 auch nur halbwegs erreicht werden soll, dann muss in unserer Stadt sehr viel mehr passieren als bisher. Das hat das desaströse Ergebnis der Evaluation des Klimaschutzkonzepts gezeigt.

Wir haben uns im August vorgenommen, den Klimaschutz mit höchster Priorität anzugehen. Das ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber den künftigen Generationen, sondern verbindet sich auch mit einer Vision für eine lebenswertere Stadt!

In den nächsten zehn Jahren brauchen wir

  • eine Verkehrswende, also den massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs bei einer Senkung der Preise, eine Infrastruktur für alternative Antriebe, den Ausbau von Radverkehrsanlagen sowie Verkehrsberuhigung, Entsiegelung und Begrünung in der Innenstadt…
  • die Dekarbonisierung des Wohnens, also Verwendung nachhaltiger Baustoffe, hohe Standards bei Wärmedämmung, Gebäudebegrünung, Regenwasserrückhaltung und Grauwasseraufbereitung…
  • den schnellen Ausbau von Erneuerbaren Energien, also flächendeckenden Aufbau von Fotovoltaik-Anlagen auf Dächern und den Umstieg auf CO2-freie Heizsysteme, insbesondere bei der Fernwärmeerzeugung.

Dieser Umbau darf nicht diejenigen finanziell belasten, die ohnehin unter den hohen Mieten, Mietnebenkosten und Fahrpreisen leiden und kaum genug Geld zum Leben haben. Das wäre nicht nur unsozial, sondern würde auch die Akzeptanz in Frage stellen. Das heißt, die öffentliche Hand muss Fördermittel bereitstellen, damit der Umbau sich nicht auf die Mieten, Energiekosten und Fahrpreise niederschlägt.

Gestern hat die Initiative KlimaEntscheid weit über 4.000 Unterschriften für eine klimaneutrale Stadt übergeben. Es ist nicht zu bestreiten, dass solche Maßnahmen in diesem Umfang grundsätzlich nötig sind und auf den Weg gebracht werden müssen!

Die Initiative hat ausgerechnet, dass die Stadt jährlich ca. 40 Mio Euro benötigt, um uns auf das Gleis in Richtung klimaneutrale Stadt zu setzen. Einen Teil davon werden uns Bund und Land natürlich abnehmen müssen. Aber sicher werden 10 Mio bis 20 Mio Euro an uns hängen bleiben – Mittel, die unabhängig von der Konjunktur bereitzustellen sind.

Demgegenüber können die 100.000 Euro, die zur Umsetzung des Antrags „Höchste Priorität für den Klimaschutz“ auf Antrag der Kooperation bereitgestellt werden, nur als Startschuss verstanden werden. In den kommenden Jahren müssen substanzielle Ausgaben folgen. Das Mindeste wäre ein 10×10-Programm für den Klimaschutz.

Nachher werden wir über die Bebauung des Messplatzes reden. Dort darf nichts anderes als ein Modellprojekt für klimaneutrales Bauen entstehen. Wir müssen jetzt beginnen mit den „wirkungsvollen Maßnahmen mit Leuchtturmcharakter“, deren Umsetzung wir uns im August dieses Jahres vorgenommen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein sozial gestalteter Übergang zu einer klimaneutralen Stadt wird kaum möglich sein, wenn der erwartbare Rückgang der Steuereinnahmen auf die verschärfte Schuldenbremse trifft.

Deshalb kann die gesellschaftliche Verteilung des Reichtums nicht so bleiben wie sie ist. Wir brauchen

  • eine sozial gerechte Steuerreform mit Vermögensbesteuerung, stärkerer Einbeziehung von Unternehmensgewinnen und großen Einkommen. Die Verfügungsmasse der Kommunen muss auch in schlechteren Zeiten gesichert bleiben.
  • ein massives Zukunftsinvestitionsprogramm von Bund und Land.
  • Selbst erheben können wir einen Klimazuschlag auf die Gewerbesteuer, wie es der KlimaEntscheid vorschlägt,
  • und schließlich muss die Schuldenbremse zur Disposition gestellt werden. Denn erstens haben einen Notstand, und zweitens geht es um die Zukunft der künftigen Generationen.


Und wenn das alles als nicht durchsetzbar erweist gegen die Macht der Konzerne und die reichen Steuerzahler, dann hat die Klimabewegung wohl recht mit ihrem Slogan „System change, not climate change“.