Menschen statt Apparate einsetzen, um Sicherheit oder Sicherheitsgefühl zu stärken

Rede zur Umsetzung der Videoüberwachung auf dem Luisenplatz am 13.2.2020 in der StaVo

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute beschließen wir ja nur noch über die Umsetzung der Maßnahme, nicht über die grundsätzliche Notwendigkeit, die leider bereits gegen einen großen Teil der Opposition festgestellt wurde.

Da auch für unsere heutige Entscheidung die grundsätzliche Haltung zur Videoüberwachung ausschlaggebend ist, will ich unsere Argumente in der damaligen Debatte zusammenfassen:

  1. Die Überwachung zielt in erster Linie auf die gefühlte Sicherheit, auch wenn das offiziell anders gesagt wird. Wenn man sich auf die Logik der gefühlten Sicherheit einlässt, ist die Ausweitung der Maßnahme vorprogrammiert. Denn wer sich nur unter Kameras sicher fühlt, wird bald die Überwachung weiterer Straßen und Plätze fordern.
  2. Die Überwachung ist unverhältnismäßig. Darmstadt ist die sicherste Großstadt Hessens, und der Luisenplatz ist kein Kriminalitätsschwerpunkt. Für viele der in der damaligen Begründung aufgeführten Straftaten ist fraglich, ob sie durch die Kameras vermieden werden können.

Eine ernsthafte Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht auf informationelle Selbstbestimmung und den Erfordernissen der Gefahrenabwehr kann nur zu dem Schluss führen, dass die Überwachung nicht gerechtfertigt ist und unterbleiben muss!

Wo es im öffentlichen Raum viele Straftaten und Ängste gibt, sollten Menschen statt Apparate eingesetzt werden, um Sicherheit oder das Sicherheitsgefühl zu stärken.

Jetzt komme ich zur Umsetzung in der konkreten Vorlage. Dabei will ich auf drei Punkte eingehen:

Erstens:

Wir bedauern sehr, dass weder die Anwendung von Gesichtserkennung noch von automatischer Analyse der Bewegungen auf dem Platz ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Der Verweis auf Gesetzlage ist unzureichend, denn Gesetze können geändert werden.

Der Magistrat hat betont, dass die Beobachtung der Monitore nebenbei ohne zusätzlichen Einsatz von Personal stattfinden soll. Das ist eigentlich nur möglich, wenn künstliche Intelligenz die Hauptarbeit leistet. Dies ist die Spezialität des ausgewählten Anbieters Dallmeier. Der Druck wird groß sein, die automatische Videoanalyse frei zu schalten.

Auch wenn dieses Verfahren zunächst unproblematisch erscheinen mag: das wäre ein Einstieg in die automatisierte, maschinelle Bewertung von menschlichem Verhalten im öffentlichen Raum. Diese Büchse der Pandora dürfen wir nicht öffnen.

Zweitens:

Bei der Speicherungsdauer soll das erlaubte Maximum von 10 Tagen ausgereizt werden.

Dieses Maximum wurde erst in der neueren Rechtsprechung für bestimmte Situationen für zulässig erklärt. Grundsätzlich gilt eine Höchstspeicherdauer von 72 Stunden. Andere Städte kommen damit aus. Ich frage mich, warum das nicht auch bei uns möglich sein soll.

Außerdem wird in der Vorlage wieder nur festgestellt, dass die Anlage den gesetzlichen Anforderungen genügt. Eine eigenständige Selbstbeschränkung wird nicht vorgenommen, das heißt, jede neue Rechtslage verschafft dem Ordnungsamt zusätzlichen Spielraum.

Drittens:

Auch bezüglich des Versammlungsrechts wird nur auf die besonderen gesetzlichen Regelungen verwiesen.

In der Ausschussdiskussion ergab sich, dass die Kameras bei Demonstrationen ausgeschaltet werden sollen, um die Teilnehmer keiner hoheitlichen Beobachtung auszusetzen. Das ist allerdings vor Ort kaum überprüfbar, zumal auch herauskam, dass für den Verfassungsschutz eine Ausnahme gemacht würde, ohne es der Versammlungsleitung mitzuteilen. Um die Versammlungsfreiheit nicht einzuschränken, müssten die Kameras physisch verhüllt werden. Nur so können die Teilnehmer sicher sein, nicht aufgezeichnet zu werden.

Insgesamt ist festzustellen, dass bezüglich der verschiedenen Aspekte des Datenschutzes

  • nur die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen versprochen wird,
  • keinerlei Selbstverpflichtungen eingegangen werden,
  • so dass künftige gesetzliche Lockerungen sofort und ohne weitere Beschlussfassung übernommen werden können.

Das ist absolut unbefriedigend.

Ich hätte mir vorstellen können, dass der Magistrat eine eigene Vorstellung von weitreichendem Daten- und Persönlichkeitsschutz entwickelt, und uns diese zur Diskussion und Abstimmung stellt. Dass ihm dies nicht wichtig war, nährt die Befürchtung, dass die Maßnahme auf dem Luisenplatz nur der Anfang sein wird.

Schließen will ich mit etwas Positivem:

Ich habe mich sehr gefreut, dass sich in den letzten Wochen ein breites Bündnis gefunden hat, um öffentlichen Protest zu organisieren gegen die Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung auf dem Luisenplatz.

Etwa 150 Menschen haben am vergangenen Samstag an der „Freiheit-statt-Angst“-Demonstration teilgenommen, um die Planungen des Magistrats zurück zu weisen und gegen die mobile Überwachungsanlage im Herrngarten zu protestieren.

Auch heute haben viele von ihnen an Sie appelliert, die Zustimmung zur Videoüberwachung zu überdenken. Ich hoffe, dass sie damit Erfolg haben, und dass sie sich auch künftig für die Freiheitsrechte in Darmstadt einsetzen.

Wir werden sie dabei gerne unterstützen.

Vielen Dank!