„Das Abnick-Verfahren nehmen wir nicht weiter hin“

Redebeitrag zu den Planungen des Magistrats zur „Smart-City“ in der Stavo am 30.9.2021

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir freuen uns, dass die Stadt Darmstadt zu den 32 Städten gehört, die Sondermittel des Bundes für die Digitalisierung der Stadtentwicklung erhalten werden.

Es gibt nämlich noch eine ganze Menge zu tun, bevor Darmstadt wirklich eine Digitalstadt ist.

Wir sind aber sehr unzufrieden mit der Art und Weise, wie die Inhalte dieser Projekte entwickelt werden, die fast 15 Mio Euro Steuergelder kosten, davon anderthalb Mio aus unserer Stadtkasse.

Leider hat der Magistrat nicht einmal versucht, uns eine Idee davon zu vermitteln, wie dieses Geld nutzbringend für die Allgemeinheit verwendet werden soll.

Der ganze Digitalstadt-Prozess war von Anfang an so ausgelegt, dass wir immer nur beschließen, an Wettbewerben teilzunehmen oder Fördermittel zu beantragen.

Im Erfolgsfall dürfen wir dann (wie heute) die Eigenmittel bereitstellen und den Vorschlag abnicken, in welchen organisatorischen Strukturen das Projekt bearbeitet wird.

Was die Stadt mit der Digitalisierung konkret erreichen will, welche Maßnahmen im Einzelnen vorgesehen sind, das war noch nie Gegenstand einer Magistratsvorlage und daher auch noch nie einer Diskussion in den Gremien.

Und auch die Öffentlichkeit hat Informationsdefizite, das hat Thomas Wolff heute in seinem Kommentar angesprochen.

Bei der Suche nach weithin bekannten Smart-City-Projekten hat Herr Wolff den Heinerliner gefunden. Das ist zweifellos bedeutendes Projekt.

Allerdings steht der Heinerliner außerhalb der Digitalstadt-Strukturen und ist auch mit separaten Fördermitteln entwickelt worden.

Die Digitalstadt selbst hat bisher wenig Wirkmächtiges hervorgebracht.

Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir zum Start der Smart City eine Bestandsaufnahme des bisher Erreichten erhalten und davon ausgehend über sinnvolle Weiter- und Neuentwicklungen reden.

Nur auf Grundlage solcher Informationen wird für uns und für die Öffentlichkeit begreifbar, welche Vision einer Smart City der Magistrat verfolgt. Nur so ist ein informiertes Votum der Stadtverordneten möglich.

Ich habe mich gefragt, wie andere Kommunen ihre Bewerbung für die Smart City Fördergelder erarbeitet und ihre Vorhaben in die Stadtgesellschaft kommuniziert haben.

Die Stadt Gütersloh informierte sogleich nach der Aufnahme ins Förderprogramm die Öffentlichkeit recht konkret über die geplanten Projekte. Diese sind übrigens in einem Bürgerbeteiligungsprozess entstanden, der der Antragstellung vorausging.

Ich nenne beispielhaft vier interessante Maßnahmen:

  • smarte Raumluft-Sensorik, die in Schulräumen gezieltes Lüften ermöglicht,
  • Sensoren für Frostbildung, damit die Streumittel effektiv eingesetzt werden können
  • Grüne Welle für Radfahrende durch die Anwendung von Echtzeit-Daten
  • Unterstützung von „Urban Farming“ durch
    digitale Steuerung von Licht, Bewässerung & Nährstoffversorgung

In Darmstadt hingegen haben wir den Förderantrag vorgestern erhalten, nachdem ich im Ausschuss darauf gedrängt habe.

Die Skizze zum Thema Smartes Wassermanagement liest sich folgendermaßen:

Nutzung von Tiefbrunnen; Trinkwassernutzung zum Gießen minimieren; Kühle Plätze zum Relaxen; Intelligente Pumpstationen versorgen Großveranstaltungen bedarfsgerecht mit Wasser; Drip-Irrigation & azyklische Bewässerung von Sportstätten & Parks; Badeseen erhalten intelligente Rückstaubecken & Wasserqualitäts-Sensoren“

Das ist kryptisch und der Zusammenhang zu digitalen Steuerung bleibt bei vielen Punkten völlig unklar. Mehr wissen wir leider nicht.

Ich fühle mich besser informiert darüber, was in Gütersloh mit den Mitteln passieren soll als in der Stadt, für deren Entscheidungen ich mitverantwortlich bin.

Für die Entwicklung Darmstadts zur Digitalstadt haben wir am 18.6.2019 fast einstimmig „Ethische Leitplanken“ beschlossen.

Darin ist festgelegt:

„Die Zielsetzung, Entwicklung, Durchführung und Nutzung
von Digitalisierungsprojekten muss […] der parlamentarisch kontrollierten Selbstverwaltung unterliegen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Anforderung hat der Magistrat bisher beharrlich ignoriert.

Das Abnick-Verfahren bei der Digitalstadt bzw. neuerdings Smart City nehmen wir nicht weiter hin, und wir hoffen dass auch andere Fraktionen ins Nachdenken gekommen sind.

Die Vorlage hat keinen Zeitdruck.

Deshalb beantragen wir, dass sie an den Magistrat zurückgegeben wird mit der Maßgabe, sie um die konkreten Zielsetzungen und um die konkret geplanten Maßnahmen zu ergänzen.

Wir sollten die ethischen Leitplanken und unseren Kontrollauftrag ernst nehmen!