Auf der Strecke bleiben die Bürgerrechte der Betroffenen

Rede bei der Demo gegen das Bettelverbot am 04.06.2025 auf dem Luisenplatz in Darmstadt

Liebe Freundinnen und Freunde,

vielen Dank an die Aktiven, die diese Kundgebung organisiert haben. Und vielen Dank, dass ihr mich eingeladen habt, zu dieser Kundgebung beizutragen. Ich trage das Thema und unsere Kritik sehr gerne aus dem Sitzungssaal unseres Stadtparlaments auf die Straße und in die Öffentlichkeit.

Ich spreche hier als Stadtverordneter der Linken. Das heißt, ich war bei der Sitzung dabei, die mit deutlicher Mehrheit der Verschärfung der sogenannten Gefahrenabwehrverordnung zugestimmt hat. Gegen diese Verschärfung, die ihr etwas überspitzt, aber trotzdem passend als „Bettelverbot“ bezeichnet, haben sich leider nur meine Fraktion, also Die Linke, außerdem die Fraktion UFFBASSE, und drittens auch die UWIGA/WGD ausgesprochen. Die Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien – auch wenn sie sich mitunter gerne als Bürgerrechts-Parteien sehen – haben brav der Vorlage des Ordnungsdezernenten zugestimmt.

Worum ging es nun genau?

Bisher war hier auf diesem Platz das „nachdrückliche und hartnäckige“ Betteln untersagt. Das reicht eigentlich völlig aus, um Belästigungen und Grenzüberschreitungen zu unterbinden. Angeblich konnte die Stadtpolizei aber auf dieser Grundlage bisher nicht ausreichend handeln, weil sie den Nachweis über die Hartnäckigkeit nicht führen könne.

Der Ordnungsdezernent Paul Wandrey und der gesamte Magistrat haben es sich daraufhin leicht gemacht und jegliche verbale Bitte um finanzielle Unterstützung unter Strafe gestellt. Diese Strafe besteht übrigens nicht in einem Platzverweis, sondern es kann eine Geldbuße von bis zu 5.000 Euro verhängt werden. In der Debatte sagte der Ordnungsdezernent, dass die Stadtpolizei diese gegenüber Bettlern vollkommen unmoralische Sanktionsmöglichkeit mit Fingerspitzengefühl anwenden würde.

Das Gegenteil ist aber der Fall: So berichtete ein Obdachloser dem Hessischen Rundfunk, dass die Stadtpolizei gegen ihn vorgegangen sei obwohl er nur den Hut aufgehalten habe. Er musste zur Strafe sämtliches Geld hergeben, das er in diesem Moment bei sich hatte. Das ist doch kein Fingerspitzengefühl, wenn die Stadt von denjenigen, die fast nichts haben, die Tageseinnahmen konfisziert!

Wahrscheinlich läuft das nicht immer so rücksichtslos ab. Aber durch solche Vorfälle wird für alle, die auf der Straße leben und betteln müssen, eine Drohkulisse aufgebaut. So gehen sie dann vielleicht doch lieber an einen weniger frequentierten Ort an dem solche Kontrollen und Sanktionen nicht passieren. Dabei sinken natürlich die Einnahmen, aber sie sind wenigstens sicher. Auf diese Weise kann die Stadtpolizei tatsächlich relativ einfach das Betteln in der Innenstadt zurückdrängen. Auf der Strecke bleiben dabei aber die Bürgerrechte der Betroffenen!

Die Verfassung garantiert eigentlich das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, solange nicht die Rechte anderer verletzt werden. Dazu gehört, auch wenn es merkwürdig klingt, das Recht durch Betteln den Lebensunterhalt zu bestreiten.

In diesem Sinne meldete sich einige Tage nach dem Beschluss ein Darmstädter Verfassungsrechtler zu Wort: Wolfgang Hecker, ehemaliger Professor an der Hochschule für Polizei und Verwaltung, stellte fest, dass beim bloßen Ansprechen von Passantinnen keinerlei Rechte Dritter beeinträchtigt werden. Es gebe kein „Recht auf ungestörtes Passieren“ auf tädtischen Straßen ohne Ansprache von bettelnden Personen. Aus diesem Grund sei eine weitreichende Verbotsregelung, wie sie die Stadt Darmstadt verabschiedet hat, rechtswidrig.

Leider können wir als Stadtverordnete diese Frage nicht juristisch klären. Voraussetzung zur Normenkontrolle wäre die Klage eines Betroffenen,und das ist aus naheliegenden Gründen schwierig. Ich kann aber sagen, dass wir eine solche Klage gerne finanziell und auch medial unterstützen würden.

Um politisch in den kommunalen Gremien nochmal einen Vorstoß zu machen, dass die Regelung zurückgenommen wird, bräuchten wir weitere Berichte, wie Menschen für unaufdringliches Betteln in der Fußgängerzone bestraft und direkt oder indirekt vertrieben werden.

Bis dahin möchte ich aber die Stadtpolizei auffordern, tatsächlich mit Fingerspitzengefühl vorzugehen, und die Bürgerrechte aller Menschen in unserer Innenstadt zu beachten und zu schützen

Die Armut breitet sich in unserer Gesellschaft immer weiter aus. Es kann nicht sein, dass darauf reagiert wird indem die Betroffenen und damit auch das Problem unsichtbar gemacht werden.

Die Armut muss bekämpft werden
• durch Soziallleistungen, die den sozialen Absturz verhindern,
• durch ausreichende Finanzierung der Hilfesysteme,
• durch bessere Löhne

Wir brauchen keine Bettelverbote, sondern Umverteilung von oben nach unten, damit die Schere zwischen arm und reich wieder geschlossen wird.

So würde das Leben für alle angenehmer und freundlicher: für diejenigen, die dann ein würdiges Leben führen können, und auch für diejenigen, denen die Konfrontation mit Armut und Verelendung unangenehm ist.

Vielen Dank fürs Zuhören…