Zum Offenen Brief des Darmstädter Friedensbündnisses zum „Antikolonialen Weihnachtsmarkt“ der Michaelsgemeinde und die daraus resultierende Forderung nach Rückgabe meines Mandats in der Stadtverornetenversammlung.
Über die Medien erreichte mich gestern die Forderung der Darmstädter Jusos, dass ich mein Stadtverordnetenmandat niederlegen solle. Die zugrunde liegende Erklärung war bereits am 1. Januar auf Facebook veröffentlicht worden. Die Jusos hatten es zwischenzeitlich nicht für notwendig gehalten, mich direkt über ihre Forderung zu informieren. Das empfinde ich als merkwürdigen Stil der politischen Kommunikation.
Der Inhalt der Erklärung der Jusos vermittelt nicht das Gefühl, dass die Autoren sich die Mühe gemacht hätten, den Offenen Brief gründlich zu lesen, um zu verstehen was das Friedensbündnis angesichts der grauenhaften Situation der Menschen in Gaza bewegt. Ich möchte alle, die sich bisher nur über die Berichterstattung über die „Causa Weihnachtsmarkt“ informiert haben, herzlich darum bitten, auf der Website des Darmstädter Friedensbündnisses den Offenen Brief im Original zu lesen und sich dann erst eine Meinung zu bilden.
Eins vorweg: Ich habe den Offenen Brief des Friedensbündnisses nicht persönlich unterzeichnet, sondern ihn als Öffentlichkeitsverantwortlicher an die Adressaten und die Medien verschickt. Ich bin einer von ca. 25 Darmstädterinnen und Darmstädtern, die diesen Brief gemeinsam erarbeitet und ihn mit voller Überzeugung zur Veröffentlichung freigegeben haben. Die Fokussierung auf meine Person wird der Entstehungsgeschichte des Dokuments nicht gerecht. Dennoch trage ich gerne die politische Mitverantwortung für die Positionen des Bündnisses. Da ich nun aber sehr persönlich angegriffen werde, nehme ich im Folgenden auch persönlich Stellung.
1. Das Friedensbündnis hat sich nicht zur Hamas und der Frage der Legitimität von militärischem Widerstand der palästinensischen Bevölkerung gegen die Besatzung geäußert. Im Bündnis herrscht große Einigkeit, dass wir die ideologischen Grundlagen der Hamas und ihren Terror gegen Zivilpersonen ablehnen.
2. Als Beweis für den angeblichen Antisemitismus des Bündnisses und meiner Person wird von den Jusos im Wesentlichen unsere Haltung zu der Parole „From the river to the sea…“ angeführt. Wie auch das Verwaltungsgericht Frankfurt festgestellt hat (Urteil vom 24.3.2024, insbesondere Punkt 26), ist die Verwendung dieser Parole nicht als „antisemitischer, israelfeindlicher Satz“ zu werten, solange er nicht von Anhängern der Hamas vorgebracht wird oder inhaltlich in einem solchen Kontext steht. In unserem Brief wird dieser Satz eindeutig mit der Forderung nach einer „offenen, inklusiven und säkularen Gesellschaft für das historische Palästina“ verbunden, und zwar für alle Menschen, die dort leben.
3. Das Friedensbündnis fordert nicht die Einstaatenlösung. Durch die fortgesetzte illegale Siedlungspolitik ist es jedoch höchst fraglich, ob es dem israelischen Staat möglich ist, ohne Bürgerkrieg die besetzten Gebiete wieder zu räumen, um einen palästinensischen Staat zu ermöglichen. Die Zweistaatenlösung erscheint somit als Lippenbekenntnis ohne Umsetzungsperspektive. Aus diesem Grund halten viele Aktive im Friedensbündnis das Streben nach einem gemeinsamen, vermutlich stark föderalen Staat für die realistischere Perspektive, um ernsthaft einen Frieden im Nahen Osten zu erreichen. Diese Sichtweise teilen sie mit jüdischen Vertretern in Deutschland, und auch in Israel gibt es solche Stimmen. Das ist der Hintergrund der Aussage in unserem Brief: „Es muss möglich sein, diese Forderung zu stellen und darüber zu diskutieren, ohne als antisemitisch oder als Hamas-Anhänger ausgegrenzt zu werden“.
4. Der Oberbürgermeister und nun auch die Jusos verwenden den Antisemitismus-Vorwurf, um Kritik an der Politik des Staats Israel zu diskreditieren und so die unsägliche „Staatsräson“ durchzusetzen. Damit relativieren sie den mörderischen Antisemitismus gegen die Juden im Laufe der deutschen Geschichte. Es ist zu befürchten, dass der Begriff des „Antisemitismus“ durch seine propagandistische Verwendung irreparabel beschädigt wird. Er wird auf beiden Seiten des Diskurses beliebig einsetzbar: während für die einen jede Kritik an Israel Antisemitismus ist, bleibt für die anderen jeder Antisemitismusvorwurf Propaganda.
5. Ich stelle fest, dass sich große Teile der Medien und viele Politikerinnen und Politiker sich nicht ernsthaft mit den Motiven und Positionen des Friedensbündnisses beschäftigen wollen. Das Schreiben der Jusos zeigt dies einmal mehr. Es geht immer nur darum, Kritik an der israelischen Politik zu unterbinden und pro-palästinensische Sichtweisen aus dem Diskurs auszugrenzen. Auf diese Weise wird von denjenigen, die sich selbstgerecht als die entschlossensten Demokraten präsentieren, der Rahmen für eine freie Debatte in Deutschland immer enger gemacht. Das ist eine große Gefahr für die Demokratie.
Selbstverständlich werde ich mein Mandat nicht aufgeben. Mir wurde ein Leserbrief zugeleitet, in dem die Autorin schreibt: „[Über sein Mandat] entscheiden hoffentlich die Wähler und Herr Franke ist wahrscheinlich gerade wegen seiner Haltung und seines Mutes gewählt worden. Weil Mut braucht es inzwischen, in einem politischen Klima, das zum kritischen Dialog nicht mehr fähig ist, anderer Meinung zu sein“.
In diesem Sinne freue ich mich auf die Kommunalwahlen im kommenden Jahr.