„Dem OB sind die Richtlinien zu mieterfreundlich“

Rede zur Anpassung der Richtlinien zur Förderung des Sozialen Wohnungsbaus (2024/0120) in der Stavo am 20.06.2024

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die vorliegende Magistratsvorlage zur Änderung der Förderrichtlinien wäre eigentlich nicht der Rede wert. Denn es geht doch nur um das Folgende:

(1) Die Einstiegsmieten für die beiden Förderwege werden nach zwei Jahren um ca. 2,5% angehoben.

(2) Der in der bestehenden Richtlinie bereits existierende Zuschlag auf die Einstiegsmiete bei Niedrigenergiehäusern gilt nun für ein Effizienzhaus 40 anstatt für ein Passivhaus. Diese beiden Standards unterscheiden sich nicht wesentlich.

Und dann wird (3) noch die in den Landesrichtlinien neu festgelegte Mietobergrenze – nämlich 25% statt 20% unter dem Mietspiegel – in unsere Darmstädter Richtlinien übernommen.

Das ist alles. Diese Vorlage wäre eigentlich ein Fall für TO II gewesen.

Wir müssen jetzt aber doch darüber reden, und zwar weil unserem sozialdemokratischen Oberbürgermeister die Richtlinien zu mieterfreundlich sind. Und weil dieser sozialdemokratische Oberbürgermeister sogar ganz grundsätzlich in Frage stellt, dass die Sozialmieterinnen und -mieter in Darmstadt günstigere Regelungen haben sollen als vom Land vorgegeben.

Zunächst beklagt Herr Benz in seiner Stellungnahme die für geförderte Wohnungen vorgesehenen angeblich zu hohen Ausstattungs-Standards, oder genauer, dass die Stadt die Absenkung dieser Standards in den Landes-Richtlinien nicht nachvollziehen will.

Bei diesen Standards handelt sich sich nicht um überbordende technischen Bestimmungen, und auch nicht um die von unserem OB wenig geliebten energetischen Standards, sondern es werden einfach nur bestimmte Aspekte der Wohnqualität festgelegt: also dass winzige Zimmer zu vermeiden sind, dass in größeren Wohnungen 2 Toiletten und in sehr großen Wohnungen sogar 2 Duschen vorhanden sein müssen. Und, was aus Sicht des sozialdemokratischen OB womöglich der größte Ausstattungs-Skandal ist: die armen Schlucker sollen sogar standardmäßig Balkone in ihren geförderten Wohnungen zur Verfügung haben!

Aus unserer Sicht ist das eine normale und zeitgemäße Ausstattung, die auch nicht übertrieben kostenintensiv ist. Meines Wissens sind das auch überhaupt nicht die Standards, über deren Absenkung man zur Baupreissenkung bundesweit debattiert. Eine Neuauflage des Schlichtwohnungsbaus darf aus unserer Sicht keine Lösung zur Senkung der Baukosten sein, auch nicht für Menschen mit geringem Einkommen!

Zweitens beklagt der OB eine Regelung, derzufolge in den ersten 5 Jahren nach dem Erstbezug
die Sozialmiete erstmal nicht erhöht werden darf. Dies würde zwar den Mieterinnen und Mietern nützen, schreibt er ausdrücklich, es könne aber dem Bauverein und anderen Investoren Schaden zufügen. Diese Regelung wurde leider zurückgezogen, wie wir vorhin von Frau Akdeniz erfahren haben. Trotzdem erwähne ich sie, weil die Reaktion darauf eine politische Haltung dokumentiert.

Unabhängig von dieser Detail-Regelung ist es das Wesen der Darmstädter Richtlinien, dass sie deutlich über die Landesrichtlinien hinausgehen und Sozialmieter günstiger stellen: Wir haben in absoluten Beträgen festgelegte Einstiegsmieten, die mehr als 50% unter dem Mietspiegel liegen, und wir haben eine relativ lange Bindungsfrist von 30 Jahren.

Beides wird natürlich durch zusätzliche Zuschüsse aus dem Darmstädter Haushalt bezahlt und geht nicht auf Kosten der Investoren.

In seinem Schreiben stellt der OB nicht nur ausdrücklich die geforderten Ausstattungs-Merkmale und einige Nebenaspekte in Frage, sondern er kritisiert insgesamt die Darmstädter Sozial-Standards, obwohl sie für viele Haushalte sehr erheblich zur finanziellen Entlastung beitragen.

Er kritisiert grundsätzlich und mit deutlichen Worten, dass wir beim geförderten Wohnungsbau in Darmstadt freiwillig über die Anforderungen des Landes hinausgehen. Das würde den Haushalt belasten und angeblich auch die Leistungsfähigkeit der Bauverein AG massiv beeinträchtigen.

Es ärgert mich wirklich sehr, dass der bisherige Konsens bei diesem für meine Fraktion sehr wichtigen Thema plötzlich in Frage steht. Bisher waren wir uns in diesem Hause weitgehend einig. Bei der Abstimmung zu den Richtlinien im Jahr 2022 hatten sich FDP und AfD enthalten, alle anderen stimmten zu. Nun wird ein sozialdemokratischer Oberbürgermeister gewählt und macht sich gleich am sozialen Netz unserer Stadt zu schaffen.

Wenn ich mir die Aussagen der SPD in der bisherigen Debatte betrachte, dann will sie anscheinend insgesamt tabula rasa machen mit den freiwilligen Leistungen. Ich fürchte, dass „Priorität für den Klimaschutz“, Kampf gegen die Armut, Räume für Kultur, und alles, für das wir uns früher gemeinsam eingesetzt hatten, künftig eher gegen die SPD durchgesetzt werden muss.

Ich muss sagen, damit habe ich nicht gerechnet. Ich hätte mich sonst sicherlich im OB-Wahlkampf in Bezug auf meine Konkurrentinnen und Konkurrenten anders geäußert.

In der Stellungnahme ist auch vom Mietspiegel die Rede, und dass sich an ihm der Anstieg der Sozialmieten orientieren müsse.

Ganz aktuell wurden wir in Kenntnis gesetzt, dass der Mietspiegel schon wieder innerhalb von zwei Jahren um 12 Prozent gestiegen ist. Beim letzten Mal waren es 17 Prozent! Das sind in vier Jahren gut 7 Prozent jährlich, also deutlich mehr als die Inflationsrate.

Das heißt, der finanzielle Druck auf alle Mieterhaushalte steigt immer weiter an, während die Vermieter Extraprofite einstreichen können, also Einnahmen, die zur Finanzierung der Wohnungen gar nicht eingeplant waren.

Vor diesem Hintergrund braucht man sich keine Sorgen um die Leistungsfähigkeit der Bauverein AG zu machen, nein, man muss sogar von ihr verlangen, im frei finanzierten Segment diesen neuen Mietspiegel nicht auszureizen.

Wir sind zufrieden, dass die Sozialmieten in Darmstadt nicht direkt an den Mietspiegel angebunden sind wie es das WoFög des Landes vorsieht, sondern dass sie zum Einstieg als absolute Beträge festgelegt werden und dann nur mit der Inflation steigen dürfen. Andernfalls würden die Mieten für geförderten Wohnraum im gleichen Tempo explodieren wie die normalen Mieten, und das wäre völlig kontraproduktiv im Kampf gegen die Armut.

Herr Oberbürgermeister, bei der vorigen Stavo haben Sie Ihre Abneigung kundgetan gegenüber Menschen mittleren Einkommens, die sich bemühen, mehr Wege ohne Kraftfahrzeug zurückzulegen. Wenn sich nun auch Ihr Desinteresse an den Anliegen einkommensschwacher Haushalte herumspricht, – wozu ich versuchen werde meinen Teil beizutragen – dann, Herr Benz, könnten auch Sie und Ihre Partei politisch einsamer werden als Ihnen lieb ist.

Vielen Dank

Richtlinien zur Förderung des Mietwohnungsbaus
Stellungnahme des Oberbürgermeisters
Artikel „Ab wann ist ein Extra-WC Luxus?“ im Darmstädter Echo (22.6.)