From the river to the sea: Equality!

Rede bei der Kundgebung „Für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“ des Darmstädter Friedensbündnisses am 08.06.2024

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Kundgebung!

Ich spreche für das Darmstädter Friedensbündnis.

Unser Bündnis hat sich gegründet, als sich der Krieg in der Ukraine durch den Angriff Russlands gefährlich zuspitzte und die deutsche Politik danach eine „Zeitenwende“ ausrief. Wir wollten und wollen uns der Aufrüstung, der Militarisierung der Gesellschaft und der verschärften Konfrontation in der Außenpolitik entgegenstellen.

Dann kam der 7. Oktober 2023 und ließ einen zweiten Konflikt zu einem furchtbaren Krieg eskalieren, der uns als Deutsche, oder als Menschen in Deutschland, in besonderer Weise betrifft und vor besondere Herausforderungen stellt.

Es hat Zeit gebraucht, bis wir uns als Gruppe orientiert und unsere Positionen erarbeitet hatten.

Und wir mussten uns langsam politisch herantasten, bis wir das Gefühl hatten, nicht unter uns zu bleiben, wenn wir zum öffentlichen Protest aufrufen
gegen den israelischen Feldzug in Gaza und dessen deutsche Unterstützung. Bis wir zuversichtlich sein konnten, dass auch in der schwierigen deutschen Debattenkultur genug Menschen mit uns für das Ende der Besatzung und für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina auf die Straße gehen.

Ich werde in meinem Beitrag die Positionen des Friedensbündnisses ansprechen, und folge dabei den Schildern, die wir für diese Kundgebung vorbereitet haben und die hier im Publikum zu sehen sind.


Der 7. Oktober hat eine Vorgeschichte, die spätestens im Jahr 1947 mit der „Nakba“ beginnt, der Katastrophe der Vertreibung eines Großteils der arabischen Bevölkerung aus ihrer Heimat. Und zuletzt war es die weitgehende Abriegelung des Gaza-Streifens und die fortgesetzte aggressive jüdische Besiedlung des Westjordanlands, die den Palästinenserinnen und Palästinensern Freiheit, Selbstbestimmung und Lebensperspektiven raubte.

Die israelische Besatzung produziert Widerstand: „No justice, no peace“, ohne Gerechtigkeit kein Frieden. Diese Gesetzmäßigkeit ist die Wurzel der Eskalation am 7. Oktober.

Niemand kann das Massaker an etwa 800 Zivilistinnen und Zivilisten gutheißen, es war ohne Zweifel grausam und völkerrechtswidrig. Die palästinensische Gesellschaft muss darüber reden, ob man so für eine gerechte Sache kämpfen kann und sollte.

Aber unsere Aufgabe muss es doch vor allem sein, die Grausamkeiten, die fundamentalen Völkerrechtsverletzungen und die himmelschreiende Ungerechtigkeit zu kritisieren, die dem Angriff der Hamas und anderer Organisationen vorausgingen.

Die westlichen Staaten, allen voran Deutschland, haben die israelische Besatzungspolitik und den Siedlerkolonialismus im Westjordanland jahrzehntelang toleriert: über diese Verantwortungslosigkeit, über diese große Mitschuld an dem Desaster in Israel und Palästina darüber müssen wir in unserer Gesellschaft reden!


Zuallererst und unmittelbar müssen endlich das Töten, das Aushungern und die Zerstörung in Gaza beendet werden!

Israel muss von seinen Verbündeten mit aller Macht dazu gezwungen werden, das Urteil des Internationalen Gerichtshofs zu respektieren, also die Rafah-Offensive zu beenden und die Zivilbevölkerung zu schützen, anstatt angeblich sichere Zufluchtsorte und Flüchtlingslager zu bombardieren.

Das erklärte militärische Ziel der israelischen Regierung, die Hamas bzw. den bewaffneten Widerstand überhaupt zu vernichten, kann nicht über dem Völkerrecht stehen, das den Schutz der Zivilbevölkerung bei Kriegshandlungen fordert.

Aber das israelische Ziel an sich entspricht schon nicht dem Völkerrecht. Denn den Kampf um Selbstbestimmung darf ein Volk auch bewaffnet führen, und es besteht weder ein moralischer noch ein juristischer Anspruch Israels, sich der palästinensischen Kombattanten ein für allemal zu entledigen.

Israel darf seine Bevölkerung natürlich gegen Angriffe schützen, es darf aber nicht unter Inkaufnahme völlig unverhältnismäßiger militärischer Vernichtung versuchen, künftige Angriffe unmöglich zu machen.

Künftige Angriffe werden vermieden, indem die Palästinenserinnen und Palästinenser endlich Selbstbestimmung und wirtschaftliche Perspektiven erhalten!

Der erste Schritt dazu ist, das Völkerrecht einzuhalten: Gaza versorgen!
Geiseln freilassen! Waffenstillstand jetzt!


Ich möchte nun auf die Rolle Deutschlands und unserer Regierung zu sprechen kommen.

Deutschland ist für Israel der zweitwichtigste Waffenexporteur. Im Jahr 2022 hat die Bundesregierung Waffenlieferungen in Höhe von rund 30 Millionen Euro genehmigt. Im vergangenen Jahr 2023 waren es dann – laut Tagesschau – unglaubliche 300 Millionen Euro, die zum Großteil erst nach Kriegsbeginn bewilligt wurden.

Durch diese Waffenbrüderschaft ist Deutschland mit verantwortlich für das, was heute in Gaza passiert.

Die deutsche Außenpolitik hat die israelische Kriegsführung in den ersten Monaten des Krieges stets vorbehaltlos unterstützt, und jede internationale Kritik zurückgewiesen. Die südafrikanische Klage wegen des Verdachts auf Völkermord wurde von unserer Außenministerin bereits bei der Einreichung als gegenstandslos bezeichnet.

Da fallen einem nur die berühmten Affen ein, die sich Augen, Mund und Ohren zuhalten.

Erst in den letzten Wochen änderte sich die Rhetorik ein wenig, weil die Außenministerin wohl merkt, dass sie die politischen Widersprüche niemandem mehr vermitteln kann, und wahrscheinlich auch, weil der große Bruder Präsident Biden seinerseits auf gesellschaftlichen Druck in den USA reagieren muss.

Doch einige vorsichtige Worte reichen nicht aus.

Wir fordern die Bundesregierung auf, die Waffenlieferungen und die politische Unterstützung für Israels Krieg und für die Fortführung der Besatzung endlich zu beenden!


Wir machen auf unserem Schild auch darauf aufmerksam, dass Deutschland möglicherweise Beihilfe zum Völkermord leistet, wie es der Internationale Gerichtshof festgestellt hat.

Der Völkermord-Vorwurf gegenüber Israel ist in Deutschland problematisch, weil er genutzt werden kann und auch genutzt wird, um das historische und weltweit einzigartige Verbrechen der Deutschen gegenüber den Juden, die Shoah, als eine Untat unter vielen Vergleichbaren zu interpretieren. Die deutsche Schuld soll auf diese Weise mit den Nachkommen der damaligen Opfer sozusagen geteilt werden.

Das ist nicht unsere Motivation. Wir weisen solches rechtsextremes Gedankengut entschieden zurück.

Doch von einem Genozid in Gaza zu sprechen ist nicht gleichbedeutend damit, Israel die Wiederholung der Shoah vorzuwerfen.

Völkermord ist die vorsätzliche Vernichtung eines Kollektivs, und nicht unbedingt aller seiner Individuen. Ein Kollektiv wird auch zerstört, indem ihm seine geografischen, politischen und kulturellen Existenzgrundlagen entzogen werden.

Und es ist doch kaum zu bezweifeln, dass genau das in Gaza gerade passiert, oder jedenfalls von der israelischen Regierung versucht wird.

Einige rechtsextreme Politiker haben diesbezüglich auch gar kein Blatt vor den Mund genommen.

Davor wollen wir warnen, und wir fordern – wie die Mehrheit der Staaten weltweit – dass auch die deutsche Regierung sich wirksam dafür einsetzt, den drohenden Genozid am palästinensischen Volk in Gaza zu verhindern!


Die Maxime „Nie wieder ist jetzt“ leitet sich ab aus der antimilitaristischen Parole „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“, die in den 50er-Jahren unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Barbarei geprägt worden war.

Nach dem 7. Oktober hat sie eine merkwürdige Einschränkung oder sogar Umkehrung erfahren: sie wurde flächendeckend zur Losung derjenigen gemacht, die sich im Nahostkonflikt bedingungslos an die Seite Israels stellen.

Dabei propagiert sie doch eigentlich die universellen und unteilbaren Menschenrechte, die überall und für alle gelten müssen, und die keiner Staatsräson untergeordnet werden dürfen.

Die bedingungslose Unterstützung Israels wurde über alle Parteien hinweg zur Staatsräson der BRD erklärt.

Eine eindeutige Definition des Begriffs „Staatsräson“ habe ich nicht gefunden. Wikipedia zitiert das Wörterbuch der Politik mit drei plausiblen Bedeutungen: Staatsräson ist demnach…

1. …der Vorrang der Staatsinteressen vor allen anderen Interessen

2. …eine Staatsnotwendigkeit, die im Gegensatz zur individuellen Vernunft und Notwendigkeit steht

3. …ein Grundsatz, dem zufolge oberster Maßstab staatlichen Handelns die Wahrung und Vermehrung des Nutzens des Staates ist, unter Inkaufnahme der Verletzung von Moral- und Rechtsvorschriften

Egal welche dieser Definitionen man für passend hält: Wer sich ein solches Prinzip zu eigen macht, wer also sich und anderen die Kritik an einem Staat verbietet, der nicht nur zu seiner Gründung hunderttausende Menschen vertrieben hat, sondern der bis heute seine koloniale Ausdehnung rücksichtslos, rechtswidrig und höchst gewalttätig durchsetzt, der bzw. die braucht von werteorientierter Außenpolitik nicht zu reden.

Es ist keine Kunst, die Menschenrechte einzufordern, wenn es der eigenen Interessenlage entspricht – oftmals ist das sogar Propaganda.

Wir brauchen endlich eine Außenpolitik, und wir fordern eine Außenpolitik, die den Mut hat, auch Verbündete zu sanktionieren, wenn sie die Menschenrechte mit den Füßen treten und möglicherweise sogar einen Völkermord begehen.


Schließlich möchte ich noch ein letztes Schild ansprechen: „Free Palestine: Menschen- und Bürgerrechte für alle!“

Wir wollen nicht, dass zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer ein ethnisch gesäubertes Land entsteht, weder in die eine noch in die andere Richtung. Das wäre nur die Fortsetzung von Krieg, Vertreibung, Tod und Zerstörung.

Wir kämpfen von hier aus, mit unseren bescheidenen Mitteln, aber zusammen mit vielen Menschen überall auf der Welt, die ebenfalls Druck auf ihre Regierungen machen, für eine politische Lösung, die allen Palästinenserinnen und Palästinensern und allen Israelis das Recht auf Leben und Gesundheit, auf politische Selbstbestimmung, auf Sicherheit und auf wirtschaftliche Entfaltung gewährleistet.

In diesem Sinne fordern wir gemeinsam: Free Palestine, free free Palestine!

Eine Lösung wird nach 70 Jahren Unterdrückung, Krieg und Hass nicht einfach zu erreichen sein. Wir können und wollen von hier aus keine Ansage machen, ob das Ziel besser in zwei unabhängigen Staaten erreicht werden kann, ob ein gemeinsamer Staat mittlerweile realistischer geworden ist, oder ob sich ein Weg finden lässt, beides miteinander zu verbinden.


Wir wollen eine bessere, eine friedliche und menschenwürdige Zukunft für die Menschen in Israel und Palästina.

Dafür stehen wir hier und jetzt auf dem Friedensplatz in Darmstadt, dafür werden wir uns auch in Zukunft einsetzen, darüber reden wir künftig mehr als bisher mit unseren Freunden, Verwandten und Kolleginnen, und davon lassen wir uns auch nicht durch unverschämte Antisemitismus-Vorwürfe oder andere Propaganda abhalten.

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wofür wir stehen lässt sich in einer grundsätzlichen Forderung zusammenfassen, die auch auf unserem Transparent zu lesen ist:

From the river to the sea: Equality!

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