„Kein Anlass, sich selbstzufrieden auf die Schulter zu klopfen“

Rede zum Haushalt 2021

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir sind froh, dass Corona nicht zum Anlass genommen wurde, diesen Haushalt mit der Sense zu gestalten, so wie es die FDP vorgeschlagen hat.

Es stimmt tatsächlich: die Ausgaben sind seit 2014 deutlich gestiegen, und zwar um 50%. Also pro Jahr um 6%, inflationsbereinigt um ca. 4%, und bereinigt um das Wachstum der Stadt um 3%. Also eigentlich gar nicht so viel.

Die steigenden Ausgaben sind für uns kein Grund zur Kritik. Denn eine Stadt,

  • die Jahr für Jahr weiter wächst,
  • die endlich anfängt, in eine Verkehrswende zu investieren,
  • die steigenden Bedarf an Kinderbetreuung erfüllen muss,
  • in der die dramatische Entwicklung der Mieten dafür gesorgt hat, dass eine breite Einsicht in die Notwendigkeit von Sozialem Wohnungsbau entstanden ist,
  • die einen enormen Investitionsstau bei Schulbau und Schulsanierung aufzuholen hat,
  • die viele Menschen unterstützt, integriert und weiterbildet, die auf der Flucht vor den weltweiten Krisen zu uns gekommen sind,
  • deren Armutsquote laut aktuellem Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in den letzten 15 Jahren so stark gestiegen ist wie nur in wenigen anderen Städten und die also mit der Steigerung der Sozialausgaben konfrontiert ist,
  • die den Herausforderungen der Klimakrise gerecht werden will und gleichzeitig die Folgen der Erwärmung zu bezahlen hat,

eine solche Stadt hat natürlich auch hohen Investitionsbedarf und steigende laufende Ausgaben!

Und sie hat Bedarf an mehr Personal. Wir unterstützen die Schaffung neuer Stellen in wichtigen Bereichen wie dem Mobilitätsamt, bei der Stadtplanung, der Grünpflege und der IT für die Schulen. Daher werden wir den vorgelegten Stellenplan nicht ablehnen. Und wir hoffen, dass die geschaffenen Stellen rasch besetzt werden können.

Wir finden es richtig, wegen des pandemiebedingten Einbruchs der Steuereinnahmen und der Schlüsselzuweisungen nicht in Panik zu verfallen. Es ist vernünftig, in dieser Situation ein Defizit zuzulassen, um die begonnenen Projekte fortzuführen und um die Stadtgesellschaft nicht durch Leistungskürzungen noch tiefer in die Krise zu stürzen.

Wir hoffen, dass diese Herangehensweise auch nach der Kommunalwahl noch Bestand haben wird.

Ich möchte nun den vorgelegten Haushalt grundsätzlicher anschauen, losgelöst vom Corona-Einbruch, der sich ja in erster Linie durch die stark verringerte Schlüsselzuweisung und das daraus folgende Defizit bemerkbar macht. Die Grundstruktur der städtischen Ausgaben wird fortgeschrieben.

Ich werde diese Struktur daran messen, was nötig wäre, um eine soziale, ökologische und für alle lebenswerte Stadt zu finanzieren. Dabei komme ich zu dem Ergebnis, dass er keinen Anlass gibt, sich selbstzufrieden auf die Schulter zu klopfen.

Ich nenne einige wichtige Aspekte unserer Kritik:

  • Die Stadt zahlt niedrige Löhne für einen Teil der Beschäftigten, vor allem in Frauenberufen. Natürlich entscheiden wir darüber nicht hier vor Ort, aber bei Tarifverhandlungen ging dem Magistrat bisher immer die Haushaltsdisziplin vor einer guten Entlohnung, mit der man in Darmstadt sorgenfrei leben und eine Wohnung bezahlen kann!
  • In unserem Entscheidungsbereich liegt allerdings die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe. Andere Städte haben das gemacht, während der Magistrat und die ihn tragenden Fraktionen das auch in diesem Jahr wieder blockiert haben, obwohl die Kosten mit 3 Mio Euro überschaubar sind. Dies ist ein Grund, warum wir den vorgelegten Haushalt ablehnen werden.
  • Wir haben Personalmangel in vielen Bereichen der Verwaltung zum Nachteil der Beschäftigten und der Bürgerinnen und Bürger. Aktuelle Beispiele dafür sind die Ausländerbehörde und die Zulassungsstelle. Wir bezweifeln, dass die Aufstockungen ausreichend sind, um Engpässe zu beseitigen. Auch die vorhin gelobten Erweiterungen des Stellenplans reichen aus unserer Sicht längerfristig nicht aus für einen klimagerechten Umbau der Stadt.
  • Um bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten zu schaffen, bräuchten wir jährlich 20-30 Mio Euro für den geförderten Wohnungsbau. Und damit der potentielle Bauherr nicht schwächelt, wäre auch eine Kapitalaufstockung für den Bauverein zu erwägen. Diese könnte auch dazu dienen, Klimaneutralität der Gebäude und Heizsysteme herzustellen ohne die Mieterinnen und Mieter zu überlasten.
  • Wir müssten der wachsenden Armut und den finanziellen Nöten auch in den mittleren Einkommensgruppen stärker entgegen wirken durch die Ausweitung von sozialen Leistungen. Ein kostenloses Kita-Essen würde ca. 3 Mio Euro kosten und auf der anderen Seite einigen Verwaltungsaufwand sparen.
  • Die Zuschüsse für Sport, Bildung und Kultur werden nicht regelmäßig an Kostensteigerungen angepasst, sondern bleiben in vielen Fällen jahrelang gleich. Außerdem unterliegen alle Zuschüsse Jahr für Jahr einer Haushaltssperre. Das ist ein weiterer Grund für unsere Ablehnung des Haushaltsplans.

Nicht alle diese Punkte können umgesetzt werden, solange die Steuerpolitik nicht geändert wird, z.B. durch Einführung einer Vermögenssteuer.

Aber es gehört auch zu dieser Debatte, dass wir Haushaltspolitik nicht nur als ein Handwerk begreifen, das Vorhandene effizient und sinnvoll zu verteilen, sondern dass wir auch signalisieren, ob wir die Kommunen ausreichend versorgt sehen bei der Zuteilung der Steuermittel oder nicht.

Und da sagen wir, dass unsere Stadt strukturell unterfinanziert ist.

  • Eine länger andauernde Konjunkturschwäche würde ihr sehr zusetzen, zumal die Schuldenbremse eine antizyklische Haushaltspolitik verbietet.
  • Schon jetzt ist sie angesichts der sozialen Bedürfnisse und ökologischen Notwendigkeiten nicht ausreichend handlungsfähig.

Sie haben gemerkt: Ausgabenkritik ist nicht unser Schwerpunkt. Ich möchte aber einen Kostenkomplex nennen, dem wir nicht zustimmen können: die Umgestaltung der Mathildenhöhe zum Weltkulturerbe.

Wir lehnen die Welterbebewerbung ab, denn

  • sie vernichtet Raum für experimentelle & zukunftsweisende Ideen in Design, Kunst und Architektur insbesondere am Osthang.
  • sie schafft zusätzliche Verkehrsprobleme und fördert das Wachstum unserer Stadt, das aus unserer Sicht aber abgebremst werden muss.

Abschließend will ich noch für unseren Antrag werben, ein Förderprogramm zur „Stärkung der Kulturarbeit in der Corona-Krise“ im Umfang von 400.000 Euro zu schaffen.

Kern unserer Idee ist es, die Lebenshaltung von freien Künstlerinnen und Künstlern durch niedrigschwellig zu beantragende Stipendien zu unterstützen. Gleichzeitig soll ein Nutzen für die Stadtgesellschaft geschaffen und der Neustart des Kulturbetriebs nach der Pandemie gefördert werden.

Eine solche Unterstützung wäre ein wichtiges Signal der Solidarität und Wertschätzung die freien Künstlerinnen und Künstler in unserer Stadt. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.