Rede in der Stavo am 10.3.2022 zum Dringlichkeitsantrag „Stoppt den russischen Angriffskrieg“
Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es wäre nicht angemessen, hier und heute eine heftige Debatte über internationale Politik zu führen, also über die Vorgeschichte dieses sinnlosen Kriegs, oder über Möglichkeiten, ihn zu beenden. Ebensowenig sollten wir uns kleinteilig mit Alternativ- und Änderungsanträgen beschäftigen. Auch eine satirische Herangehensweise scheint uns heute unangebracht.
Die politische Lage ist ernst und beängstigend, die Not von Millionen Menschen ist groß. Von uns Stadtverordneten darf man in diesem Moment erwarten, dass wir eine gemeinsame Haltung suchen und zum Ausdruck bringen, und dass wir festlegen, wie Darmstadt helfen kann und will.
Deshalb begrüßen wir, dass die Resolution größtenteils auf weitergehende und kontroverse Positionierungen verzichtet:
- Sie benennt in angemessener Form die Fakten,
- sie verurteilt den schrecklichen und unverantwortlichen Angriff auf die Ukraine,
- sie erklärt unsere konkrete Solidarität mit den Opfern des Krieges, insbesondere mit den Flüchtenden,
- sie versucht den russischen Bürgerinnen, die gegen den Krieg protestieren, den Rücken zu stärken, und
- sie nimmt aus Russland stammende Menschen vor Diskriminierungen in unserer Gesellschaft in Schutz. Auch das ist leider notwendig.
Der Appell am Ende des Textes, dass weiter auf Diplomatie und Verhandlungen gesetzt werden muss, hebt sich positiv von so manchem Beitrag bei den großen Kundgebungen der letzten Wochen ab.
Das alles ist wichtig und entspricht unseren Überzeugungen. Deshalb werden wir dieser Resolution
für ein Ende des russischen Angriffskriegs zustimmen.
Wir haben uns allerdings entschieden, uns nicht an der Einbringung dieser Resolution zu beteiligen. Das hat uns keine geometrischen Verrenkungen [Anm.: „Quadratur des Kreises“] abverlangt, wie in der Vorberichterstattung vermutet wurde, sondern es ergibt sich ganz einfach daraus, dass die Einbringung eines eigenen Antrags eine stärkere Identifikation bedeutet als die Zustimmung zu einem fremden Antrag.
Ich will Ihnen unser Problem benennen: Wir sind nicht einverstanden mit dem höchst ideologischen Punkt 5 des Antrags. Er wäre, bis auf den Zusatz der FDP, verzichtbar gewesen. Ohne diesen Punkt hätte nichts Wichtiges gefehlt. Da er nun aber Teil des Entwurfs ist, muss ich doch auf die internationale Politik zu sprechen kommen. Ziel ist es dabei, unsere Haltung zu erklären, und nicht, eine konfrontative Debatte loszutreten.
In dem aus unserer Sicht unnötigen Abschnitt ist von einer „freien Welt“ die Rede (also wohl von den westlichen Staaten), und diese „freie Welt“ wird als friedlicher und demokratischer Gegenpol zu Putins Aggressivität und Kriegstreiberei idealisiert. Diese Sichtweise teilt DIE LINKE nicht.
- Wir haben die Bilder des Irakkriegs noch vor Augen, der mit einer Lüge begann und hunderttausende Menschen das Leben gekostet hat.
- Wir erinnern uns an das Bombardement Libyens, das dieses Land in ein ökonomisches und gesellschaftliches Desaster gestürzt hat.
- Wir sind konfrontiert mit der Erdogan-Regierung im NATO-Staat Türkei, die die halbe Opposition ins Gefängnis gesperrt hat und das hoffnungsvolle gesellschaftliche Experiment in Rojava auf syrischem Boden militärisch angreift.
- Seit Jahren wütet ein rücksichtsloser Krieg im Jemen, der unter anderem von Saudi-Arabien und dem WM-Ausrichter Katar auch mit deutschen Waffen geführt wird.
- Und auch das Grenzregime der Europäischen Union passt für uns nicht zu den demokratischen und humanistischen Werten die in dem Absatz beschworen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
aus unserer Sicht geht leider auch von der westlichen Welt nicht die „Idee der Freiheit“ aus, wie es in der Resolution postuliert wird.
Für uns ist unübersehbar,
- dass auch „der Westen“ seine Interessen mit militärischen Mitteln vertritt,
- dass er genehme Diktaturen gewähren lässt und sogar mit Waffen versorgt,
- dass er immer wieder versucht, unliebsame Regierungen zu schwächen und zu entmachten.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das alles legitimiert den russischen Krieg
gegen die Ukraine in keiner Weise.
Im Gegensatz zu Punkt 5 der Resolution ist uns aber die Einsicht wichtig, dass auch die westliche Politik diese kriegerische Welt mitgeformt hat.
Denn wir sind davon überzeugt, dass diese Welt insgesamt verändert werden muss, in Richtung von internationaler Kooperation statt geopolitischer Konkurrenz, um dauerhaften und umfassenden Frieden möglich zu machen!
Quellen: Bericht im Darmstädter Echo (Bezahlbereich) und der Text der Resolution.